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Sperrmüll als vergängliche KunsTform – Sonja Maria Kaas im Gespräch
Sperrmüllberge sind flüchtige Konstruktionen – sie tauchen auf, wachsen scheinbar aus dem Nichts und verschwinden oft genauso schnell wieder. Die Künstlerin Sonja Maria Kaas hat sich in ihrer aktuellen Ausstellung „reality bites“ im Mannheimer Port25 intensiv mit diesem Phänomen im Jungbusch auseinandergesetzt. Mit fotografischer Präzision und einer eigens geschaffenen Installation macht sie die Geschichten hinter den Objekten sichtbar. Im Interview spricht sie über ihre künstlerische Herangehensweise, ihre Faszination für das Material und die Herausforderungen, denen sie sich während des Projekts stellte.
Delta im Quadrat: Frau Kaas, könnten Sie sich bitte unseren Leserinnen und Lesern kurz vorstellen und uns einen Einblick in Ihren künstlerischen Werdegang geben?
Sonja Maria Kaas: Ich bin Künstlerin und selbständige Garten-/Freiraumplanerin und beschäftige mich seit frühester Jungend mit Kunst und Architektur in Form von Zeichnung, Malerei und Collagen. Zehn Jahre habe ich mich intensiv mit dem Medium Fotografie als Ausdrucksform auseinandergesetzt. Danach entdeckte ich die Welt der Pflanzen, die mich bis heute fasziniert. So kam auch der Garten als Kunstform dazu. Es folgten die ersten Installationen, und seit 2013 gehe ich mit meinen Arbeiten an die Öffentlichkeit.
DiQ: Ihre aktuelle Ausstellung „reality bites“ im Port25 widmet sich dem Thema Sperrmüll im Jungbusch. Was hat Sie dazu inspiriert, sich künstlerisch mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen?
SMK: Tatsächlich war ein riesiger Sperrmüllberg das erste, was mir auffiel, als ich vor Jahren in den Jungbusch kam. Er war bestimmt drei Meter hoch und acht Meter lang und lag in der Böckstraße. Er hatte etwas von einem Bauwerk! Etwas vergleichbares hatte ich vorher noch nie gesehen. Seitdem setzen mich Sperrmüllsammlungen immer wieder in Erstaunen. Sie wachsen scheinbar über Nacht, sind aber das Ergebnis der Interaktion unterschiedlichster Menschen, die unsichtbar scheinen. Sie zeigen sich in ihren Konstruktionen, in den Gegenständen, die die Geschichten erzählen. Anlass für „reality bites“ war der Nachtwandel 2024. Die Arbeit hat mich dem Viertel nähergebracht.
DiQ: In Ihren Werken setzen Sie gefundene Objekte neu zusammen und präsentieren sie in Collagen und Installationen. Welche Botschaft möchten Sie den Betrachtern Ihrer Kunst vermitteln?
SMK: Bei der Arbeit und in den Fotografien habe ich nichts arrangiert oder hinzugefügt. Insofern ist die Installation die einzige „Collage“. Die ursprüngliche Idee, Collagen zu erstellen, verwarf ich während des Arbeitsprozesses, da sie mir hier nicht angebracht schienen. Ich wollte nichts „verfälschen“. Mein Eingriff besteht in der Reduktion, durch die ich ausarbeiten konnte, was sich mir gezeigt hat. Meine Assoziationen, mein Kopfkino. Im Idealfall geht der Betrachter auf Entdeckungsreise und findet seine eigenen Botschaften.Also keine Botschaft – außer vielleicht durch den Titel: „reality bites“.
DiQ: Wie war der kreative Prozess bei der Erstellung? Gab es besondere Herausforderungen während Ihrer Arbeit im Jungbusch?
SMK: Drei Wochen lang befand ich mich im Flow, ich war hochkonzentriert und kaum ansprechbar. Mehrmals am Tag fotografierte ich den Sperrmüll im Viertel und hielt die Veränderungen fest. Aus Hunderten von Fotos wählte ich neun Sperrmüllhaufen aus, in die ich mich vertiefte, um das Wesentliche zu erfassen. Eine besondere Herausforderung war die Installation. Sie besteht aus Gegenständen, die ich dem Sperrmüll entnahm, was mich große Überwindung kostete. Erst als ich eine genaue Vorstellung vom Ganzen hatte, fanden sich die Objekte ein und ich musste sie nur noch wie Teile eines Puzzles zusammenfügen. Das letzte Teil zog ich, praktisch auf den letzten Drücker, einen Tag vor dem Nachtwandel aus dem Sperrmüll. Danach tauchte ich wieder auf, was eine große Erleichterung war.
DiQ: Gibt es ein bestimmtes Fundstück oder eine Szene, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist – sei es aufgrund der Ästhetik, der Geschichte dahinter oder der Symbolik?
SMK: Der Ferrari Coupé. Ich erinnere mich an den kleinen Jungen, der damit stolz durchs Viertel fuhr, sein Vater lief neben ihm her und passte auf beide auf. Jetzt stand er tropfend im Regen und jemand hatte eine Zigarettenpackung auf den Beifahrersitz geworfen. Am Abend war er schon weg. Vielleicht sehe ich diesen Sommer wieder einen kleinen glücklichen Jungen im Ferrari?