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Wilhelm-Hack-Museum: Körperbilder. Intimität – Dekonstruktion – Interaktion

Eineinhalb Jahre war das Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum geschlossen – nicht wegen Corona, sondern aufgrund einer notwendigen Brandschutzsanierung. Die meisten der umfangreichen Brandschutzmaßnahmen sind hinter Wand- und Deckenverkleidungen verschwunden und werden für die Besucherinnen und Besucher kaum zu erkennen sein; es wurden aber auch das Museumsatelier, das Restaurierungsatelier und der Bereich der Garderobe komplett renoviert und neu konzipiert. Seit Mitte März hat das Museum nun wieder geöffnet. Einblicke in die neue Sammlungspräsentation gibt unser Interview mit Museumsdirektor René Zechlin.

Delta im Quadrat, Beate Schittenhelm: Das Wilhelm-Hack-Museum war lange geschlossen – ist bei den Sanierungsmaßnahmen denn alles so gelaufen wie geplant?

René Zechlin: Das wäre schön gewesen, aber gerade bei Bauvorhaben und Sanierungsmaßnahmen kommt es eigentlich immer anders als geplant. Auch bei uns kam es zu Verzögerungen, die vorab nicht einschätzbar waren. Zum Glück haben wir aber alles gut gemeistert und freuen uns, wieder für die Besuchenden geöffnet zu haben.

DiQ: Mit was wurde das Museum jetzt im März neu eröffnet?

RZ: Das Wilhelm-Hack-Museum hat mit zwei Ausstellungen wiedereröffnet. Zum einen mit der Ausstellung „Shaping Data“ (Daten gestalten/gestaltende Daten), die ein Teil der Biennale für aktuelle Fotografie ist, die in Ludwigshafen, Mannheim und Heidelberg an sechs Ausstellungsorten stattfindet. Die Ausstellung thematisiert, wie der alltägliche Gebrauch von digitaler Technologien wie Smartphones sich auf unseren Körper auswirkt, unsere Meinungen prägt und zwischenmenschliche Beziehungen verändert. Zum anderen wäre da unsere neue Sammlungspräsentation „Körperbilder. Intimität – Dekonstruktion – Interaktion“. Auch hier geht es um den Körper und wie sich seine Bedeutung in der Kunst des 20. Jahrhunderts verändert hat. Werke von Künstlerinnen und Künstlern wie Giorgio de Chirico, Max Ernst, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein oder Niki de Saint Phalle werden zu sehen sein.

DiQ: Können Sie ausführen, was mit den Schlagwörtern „Intimität – Dekonstruktion – Interaktion“ jeweils gemeint ist? Spiegelt sich darin auch eine Entwicklung der Kunst über verschiedene Zeiten und Stile wider?

RZ: Letztere Frage lässt sich mit „Ja“ beantworten. In allen drei Bereichen – Intimität, Dekonstruktion und Interaktion – wird die Entwicklung des Blicks auf den Körper und die Auseinandersetzung mit diesem in der Kunst nachvollzogen: Intimität und die Darstellung des unbekleideten Körpers spielt in der Tradition von Malerei und Skulptur eine wichtige Rolle, zeigt sich darin nicht nur ganz unmittelbar das Schönheitsideal, sondern auch das Geschlechterverhältnis der jeweiligen Zeit. In der Vormoderne benötigt die Nacktheit noch eine Rechtfertigung durch mythologische oder biblische Themen. Dies ändert sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, wobei auch in der Moderne weiterhin die Referenzen an die Darstellungstradition von Bedeutung bleiben. Das 20. Jahrhundert hat kaum noch Interesse an der naturgetreuen Abbildung einer Person – es kommt zu einer Dekonstruktion. Bereits der Kubismus zerlegt kurz nach der Jahrhundertwende den Körper in geometrische Formen, was von den Konstruktivisten weitergeführt wird. Die Individualität des Menschen spielt in diesen Umsetzungen keine Rolle: Der Einzelne soll im großen gesellschaftlichen Ganzen aufgehen. In der gestischen Malerei der Nachkriegszeit wird Individualität nicht allein in der Darstellung eines Gegenübers auf die Leinwand gebannt, sondern zeigt sich in der Handschrift der Künstlerin. So wird der Körper der Künstlerinnen und Künstler selbst zum Ausdrucksträger, indem dessen Bewegung als abstrakte Geste unmittelbar auf der Leinwand festgehalten wird. Eine neue Rolle erhalten auch die Betrachtenden, indem sie nicht mehr passiv auf ein Werk blicken, sondern aktiv in die Betrachtung einbezogen werden. Ob in der Ausführung meist alltäglicher Handlungsanweisungen oder als Teilnehmende eines Happenings, die Rezipierenden sind unverzichtbar für die Vervollständigung des Kunstwerks, sodass es zu einer Interaktion kommt.

DiQ: Mit dem Thema der „Körperbilder“ setzen Sie ja eine Art Trend im Delta fort, sind doch gerade zwei Ausstellungen zu Ende gegangen, die sich auch schon mit dem menschlichen Körper und dessen Abbild beschäftigten, wenn auch etwas spezifischer gefasst: „MUTTER“ in der Kunsthalle Mannheim und „Frauenkörper“ im Kurpfälzischen Museum Heidelberg. Ist das Zufall, Absicht oder einfach gerade ein gewisser Zeitgeist?

RZ: Die Idee zu den „Körperbildern“ hatte die Kuratorin Julia Nebenführ schon vor den genannten Ausstellungen in Mannheim und Heidelberg und auch vor Corona. Aufgrund der Pandemie und Verzögerungen bei der Brandschutzsanierung konnten wir die Präsentation aber erst jetzt realisieren. Die Sozialen Medien mit Selfies und unterschiedlichsten Formen der Selbstdarstellung haben das Porträt und die Körperdarstellungen in einer neuen Weise aktualisiert. Auch die Genderdiskussionen werden alle drei Ausstellungen beeinflusst haben. Von daher – ja, ich sehe in der Parallelität einen gewissen Zeitgeist.

DiQ: Und wie ist nach zwei sehr aufs Weibliche fokussierten Ausstellungen jetzt das Geschlechterverhältnis im WHM, sowohl bei den Motiven als auch bei den Künstlerinnen bzw. Künstlern?

RZ: Durch unseren Sammlungsschwerpunkt auf geometrisch-abstrakte Werke, die normalerweise nicht mit Körperlichkeit in Verbindung gebracht werden, zeigen auch viele der Motive keinen Körper und somit auch kein Geschlecht. Es geht nicht nur um den abgebildeten Körper, sondern auch um den des Künstlers oder des Betrachtenden. Wie bei den meisten Sammlungen des 20. Jahrhunderts sind auch die in der Sammlung des Wilhelm-Hack-Museums vertretenen Künstler zum Großteil männlich. Das spiegelt sich natürlich auch in der Sammlungspräsentation.

DiQ: Es werden „Werke aus der Sammlung“ in einer neuen Zusammenstellung gezeigt – gibt es da viel Neues zu entdecken? Oder neue Blicke auf altbekannte Werke?

RZ: Die Frage nimmt die Antwort sehr treffend vorweg. Durch die für das Wilhelm-Hack-Museum ungewohnte Themenstellung gibt es viele Neu- und Wiederentdeckungen. Altbekannte Werke werden in einem neuen Kontext gezeigt. Bei den 148 Werken von über 100 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern wird es neben Altbekanntem aber auch Neu- und Wiederentdeckungen geben wie Annegret Soltau, Joachim Bandau oder Werke aus der Mittelaltersammlung.

DiQ: Das Museum gilt ja als ein Haus mit Schwerpunkt auf dem Abstrakten. Wie schwer war es da, ganz speziell „Körperbilder“ ausfindig zu machen? Und sind diese zwangsläufig als gegenständlich zu beschreiben?

RZ: Das ist eine gute Frage, denn auch wenn bei dem Begriff „Körperbilder“ meist direkt eine gegenständliche Darstellung in den Sinn kommt, so umfasst der Aspekt des Körpers in der Kunst des 20. Jahrhunderts mehr als das. Genau das versucht die Ausstellung zu thematisieren. Es ist spannend, die Sammlung unter einer neuen Perspektive zu betrachten!

DiQ: Zum Schluss der Klassiker unter den Fragen: Welches der Werke fasziniert Sie persönlich am meisten?

RZ: Das ist wirklich ein Klassiker. Ich würde die Frage jedoch gerne mit einer Aufforderung an die Leserinnen und Leser zurückgeben: Finden Sie heraus, welches der Werke Sie persönlich fasziniert! Lernen Sie die Werke durch unseren neuen Audioguide kennen. Hierzu wurde eine App entwickelt, die drei verschiedene Audio-Touren durch die Ausstellung bereithält: für Erwachsene, in leichter Sprache sowie einen literarischen Rundgang mit Texten von Autorinnen und Autoren des WORTSCHAU Magazins. Die App kann kostenfrei über die gängigen Appstores auf das eigene Smartphone geladen werden. Wir freuen uns auf Ihren Besuch und den Austausch mit Ihnen!

 

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