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Bühne

Der Heidelberger Stückemarkt 2021

Autorenwettbewerbe, Gastspiele, Lesungen und drumherum viel Gelegenheit zum Austausch und zur Diskussion über die zeitgenössische Dramatik – das bietet der Heidelberger Stückemarkt unter Normalbedingungen. Mit Corona ist vieles anders und Anpassung nötig, doch stattfinden soll das Theaterfestival dennoch! An zehn Tagen im Frühling präsentiert der Stückemarkt nun schon zum 38. Mal die Avantgarde des Theaters: Neue Stücke werden gelesen, herausragende Uraufführungen aus dem deutschsprachigen Raum sind geplant und mit dem Gastland Litauen steht eine weitgehend unbekannte Theaterszene im Fokus. Weil der Theaterbesuch vor Ort momentan nicht lange im Voraus planbar ist, setzt das Theater in diesem Jahr zusätzlich auch auf digitale Produktionen: Im „Netzmarkt“ werden die aktuellen digitalen Entwicklungen der deutschsprachigen Theaterlandschaft honoriert. Kuratorin des „Netzmarkts“ ist Lea Goebel, Dramaturgin am Schauspiel Köln. Welche Chancen und Hürden sie beim „digitalen Theater“ sieht, berichtet sie im Interview mit „Delta im Quadrat“.

Delta im Quadrat, Beate Schittenhelm: Frau Goebel, wie sind Sie denn zum Theater im Allgemeinen gekommen – oder war es eher andersherum und das Theater ist zu Ihnen gekommen?

Lea Goebel: Die Ursprünge liegen, glaube ich, in meiner Schulzeit. Ich war für einige Jahre auf einer Waldorfschule, wo musikalische und theatrale Ausbildung einen hohen Stellenwert hat. Die Faszination hat sich dann bis ins Studium verstetigt, mir wurde aber schnell klar, dass ich eher nach einem Theaterberuf hinter als auf der Bühne suche. Zusammen mit dem literatur- und kulturwissenschaftlichen Studium hat sich eine gute Symbiose für den Job der Dramaturgin ergeben.

DiQ: Und wie kamen Sie jetzt zu ihrer Rolle als „Netzmarkt“-Kuratorin in Heidelberg?

LG: Seit März 2020 interessiere ich mich vermehrt für digitale Formen des Theaters. Das kam sicherlich aus der Sehnsucht nach den abendlichen Theatererlebnissen und dem Austausch mit dem Publikum, was ich dann im Digitalen fand. Im Herbst habe ich am Theater und Orchester Heidelberg einen Workshop zu den Chancen und Herausforderungen von digitalem Theater gehalten und unter anderem unterschiedliche Projekte des Jahres vorgestellt. Daraufhin wurde ich als Kuratorin für den Netzmarkt angefragt.

DiQ: Für was sind Sie im Rahmen des Stückemarkts dann genau zuständig?

LG: Ich habe verschiedene Produktionen vorab gesichtet und daraus eine Zusammenstellung der besten Formate für das Auswahlgremium des Netzmarkts erstellt. Dabei habe ich darauf geachtet, dass Stadt- und Staatstheater sowie die freie Szene vertreten sind. Wichtig war auch, dass verschiedene Kanäle und Formen (Live-Stream, Webserie, Telegram, Zoom etc.) darin abgebildet werden. Die Liste haben wir dann in Sitzungen diskutiert, teils kontrovers, teils einstimmig. Daraus entstanden sind die Top 3, die im Rahmen des Stückemarkts nun gezeigt werden.

DiQ: Das Theater ist ja eigentlich ein klassischerweise „analoges“ Medium, es lebt vom Unmittelbaren, Unwiederholbaren und auch vom gemeinschaftlichen Erleben einer Aufführung. Wie kann sich das digitale Schauspiel hier einfügen?

LG: Ein wichtiges Schlagwort ist in diesem Kontext „Interaktion“. Diese bietet die Möglichkeit, das Gefühl von Nähe, Unmittelbarkeit und die Gleichzeitigkeit beim Publikum zu verstärken. Das kann in Form von Live-Chats während des gemeinsamen Schauens eines Streams geschehen oder durch die aktive Aufforderung mitzuspielen, wie beispielsweise bei den Telegram Games von machina eX. Eine weitere Möglichkeit sind Abstimmungstools, die den ZuschauerInnen ermöglichen, auf den Handlungsverlauf Einfluss zu nehmen. Das hat „Dekalog“ vom Schauspielhaus Zürich gezeigt.

DiQ: Was hat sich gerade im letzten Jahr, also unter Pandemie-Bedingungen, in der digitalen Szene an Neuem entwickelt? Welche Beobachtungen konnten Sie da machen?

LG: Begonnen haben die meisten Theater mit dem Zeigen von Mitschnitten. Das hatte einen starken On-Demand-Archiv-Charakter. Diese Mitschnitte sind oft Aufnahmen aus der Generalprobe, für interne Zwecke gedacht und aus der Totale aufgenommen. Später kamen auch Zoom-Inszenierungen und Live-Streams hinzu. Seit dem zweiten Lockdown merken wir, dass sich einige Theaterschaffende nun auch mit neuen Technologien wie Virtual Reality oder 360°-Aufnahmen auseinandersetzen. Ich habe in jedem Fall eine große Lust am Ausprobieren und Experimentieren wahrgenommen.

DiQ: Das Internet kann für viele einen angenehm flexiblen und barrierefreien Zugang zur Kultur bieten und damit vielleicht sogar neue Zuschauergruppen erschließen. Setzen Sie auch in Heidelberg darauf?

LG: Ich bin eher kritisch, ob durch das Internet neue Gruppen erschlossen werden können. Theater können sich sicherlich internationaler aufstellen, wenn sie mit Untertiteln arbeiten oder die Inszenierungen zu verschiedenen Uhrzeiten und Zeitzonen anbieten. Der Wunsch, die Digital Natives dadurch zu erreichen, kann aber nicht ausschließlich über Netzproduktionen gewährleistet werden. Wenn die Medien und Kanäle des Ausspielens gut ausgewählt sind, kann dadurch natürlich ein eher theaterferner Ort erschlossen werden. Zum Beispiel Formate auf Instagram wie „Der Kult der toten Kuh“ von Laura Tontsch oder „Fräulein Else“ vom Nationaltheater Mannheim, oder auf Twitch „W – Eine Stadt sucht ihre Wohnung“ vom Staatstheater Augsburg. Aber das muss auch über die Inhalte gelöst werden. Wenn Themen der jungen Generation auf der Bühne, ob analog oder digital, nicht verhandelt werden, kann das das Netztheater nicht alleine auffangen.

DiQ: Langfristige Planungen sind momentan ja ausgesprochen schwierig. Wie gehen Sie damit um? Und können Sie uns vielleicht trotzdem schon etwas zum Festivalprogramm verraten?

LG: Wir werden schauen müssen, wie sich die Inzidenzwerte entwickeln und sich der Stufenplan der Lockerungen umsetzen lässt. Stand jetzt hält der Heidelberger Stückemarkt an dem analogen Programm fest, hinzu kommt die neue digitale Rubrik des Netzmarkts. Die drei ausgewählten Produktionen werden im Laufe der Festivaltage dort zu sehen sein.

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