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Leben im Delta

Die Faszien in den „Körperwelten“

Neue Einsichten in den menschlichen Körper, speziell in die Strukturen der Faszien, bot Ende September eine Veranstaltung in den Heidelberger „Körperwelten“ mit dem Pionier der Faszienforschung Dr. Robert Schleip. Für alle, die den Vortrag „Faszination Faszien“ verpasst haben, fasst Dr. Schleip in einem Interview mit „Delta im Quadrat“ noch einmal die „faszienierendsten“ Aspekte daraus zusammen.

Delta im Quadrat: Hallo Herr Dr. Schleip, können Sie sich bitte kurz vorstellen?


Dr. Robert Schleip: Ich leite das „Fascia Research Project“ der Universität Ulm undbin zusätzlich Forschungsdirektor der European Rolfing Association. Gemeinsammit einem Kollegen-Team internationaler Experten bin ich fasziniert von den vielen – und zum Teil überraschenden – Funktionen, die das fasziale Bindegewebe im Körper ausübt, sowie den erst seit wenigen Jahren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, diesem ehemals als „bloßes Verpackungsmaterial“ unterschätzten Gewebe mit modernen und exakten Forschungsmethoden auf die Spur zu kommen. Das Ausmaß der Entdeckungen auf diesem spannenden Weg verschlägt mir dabei immer wieder vor Begeisterung den Atem.

DiQ: Wie kamen Sie zur Faszienforschung? Was hat sie an dem Thema interessiert und fasziniert?


RS: Ich wurde 1978 als damals einer der ersten Europäer in Colorado in dersogenannten Rolfing-Methode, einer von der amerikanischen Biochemikerin Dr.Ida Rolf entwickelten Tiefengewebsmassage, ausgebildet. Dabei wurden wir immer wieder auf die Faszien als das angeblich wichtigste Gewebe für die Körperhaltung sowie auch für Schmerzen im Bewegungsapparat hingewiesen. Das waren jedoch großteils kluge Vermutungen der Begründerin, mit nur dürftigen wissenschaftlichen Referenzen dazu. Da ich von den Wirkungen der Methode sehr beeindruckt war, mir die damals zur Verfügung stehenden Forschungsarbeiten jedoch nicht genügten, habe ich mich dann nach rund zwei Jahrzehnten erfolgreicher Lehr- und Praxistätigkeit selbst der Grundlagenforschung auf diesem Gebiet zugewandt. Eine Entscheidung, die ich bis heute nicht bereut habe!

DiQ: Welche Erkenntnisse über die Faszien konnten Sie erforschen?


RS: Unsere Abteilung an der Universität Ulm konnte nachweisen, dass Faszien ihreSteifigkeit aktiv selbst regulieren können, unabhängig von dem Tonus der umgebendenMuskeln. Das hängt mit einer Klasse von Bindegewebszellen zusammen, die man erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckte, und die sich – ähnlich zur glatten Muskulatur der Eingeweide und Gefäße – langsam und nachhaltig kontrahieren können. Auch konnten wir nachweisen, dass es eine Verbindung vom autonomen Nervensystem zur Aktivität dieser Zellen gibt. Mit anderen Worten: Wie steif die Faszien sind, hängt nicht nur vom üblichen Muskeltonus ab, sondern auch von anderen Faktoren, inklusive der Grundspannung des autonomen Nervensystems.

DiQ: Was sollte jeder über die Faszien wissen? Welche Rolle spielen sie?

RS: Vielleicht den einfachen Spruch „Wer sich nicht ausreichend bewegt, verklebt.“ Wenn das fasziale Bindegewebe im Alltag vielseitig bewegt wird, bleibt es elastisch und geschmeidig; die kollagenen Fasern weisen dann an vielen Stellen eine ähnliche Architektur auf wie eine elastische Damenstrumpfhose. Wenn es hingegen nichtausreichend bewegt wird, beginnt es langsam zu verfilzen; das können wir heutezum Beispiel bei zahlreichen Rückenschmerzen als „vermehrte Adhärenz“ in der großen Lendenfaszie gegenüber der direkt darunter liegenden Rückenmuskulatur mit modernem Ultraschall dokumentieren.

DiQ: Ist das Training mit der Blackroll wirklich förderlich für Mobilisierung und Regeneration der Muskulatur und der Faszien?

RS: Grundsätzlich ja. So konnten Kollegen von der Hochschule Osnabrück in einer gut gemachten Studie zeigen, dass die Adhärenz der großen Lendenfaszie nach dem Rollen deutlich verbessert wird – mit anderen Worten, dass sie dann geschmeidiger und weniger verklebt ist. Aber wie bei allem, das grundsätzlich gut ist, kommt es auch hier auf die richtige Dosis an; d.h. es gibt immer auch ein paar wenige Anwender, die es schaffen, die Anwendung zu übertreiben. Wer zum Beispiel eine Venenschwäche in den Unterbeinen hat, sollte diese erstmal nur ganz vorsichtig rollen oder sich die korrekte Anwendung in diesem Bereich von einem Experten zeigen lassen.

DiQ: Im Rahmen der Veranstaltung inHeidelberg wurden als Highlight die weltweit ersten Faszien-Plastinate vorgestellt. Was bedeutet das für Sie?RS: Das ist in der Tat eine historische Sensation, zumindest im Bereich der makroskopischen Anatomie. Während man das fasziale Bindegewebe in der langen Geschichte der darstellenden Anatomie meistens so sauber wie möglich weggeschält hat, um die darunterliegenden Muskeln und Organe möglichst deutlich darzustellen, gibt es jetzt erste systematische Präparationen, in denen das verbindende Gewebe, also die Faszien in den Vordergrund gestellt werden. Durch eine enge Zusammenarbeit der internationalen Fascia Research Society mit dem von Gunther von Hagens begründeten Institut für Plastination ist es jetzt erstmals gelungen, solche einzelnen Aspekte des menschlichen Faszien-Netzwerkes als dreidimensionale Plastinate darzustellen. Das ist nicht nur neu, sondern auch bezaubernd schön, da hier die schillernd-transparente Eigenschaft der Faszien ähnlich zum Ausdruck kommt, wie das bisher nur Chirurgen vom lebenden menschlichen Körper kannten.

DiQ: Für wen empfehlen Sie die eingehende Beschäftigung mit dem Faszien im Körper?

RS: Für jeden, der Freude daran hat, etwas Neues über den menschlichen Körper zu lernen. Das Thema Faszien ist ja derzeit nicht nur im Fitnessbereich hochintewressant, sondern bietet auch ein neues Verständnis und neue Möglichkeiten im Umgang mit vielen Störungen im Bewegungsapparat, sei es bei Rückenschmerzen, Schultersteife, Spannungskopfschmerzen und vielen anderen Störungen. GroßesInteresse findet das Thema derzeit auch im Tanz- und Pilates-Bereich sowie in der Yoga-Szene.


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