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Leben im Delta

Enjoy Jazz: Das Jahrhundert des Jazz

02.10.-11.11., Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen & Region, www.enjoy-jazz.de

„Wir sind keine zornigen jungen Männer, wir sind rasend vor Wut.“ – Der Satz von Archie Shepp klang nicht nur so scharf wie eines seiner Saxophonsoli, er war auch genau so gemeint. Die Avantgardisten der sechziger Jahre radikalisierten die bislang gewohnten Formen des Jazz; ihre Mittel setzten sie wilder und maßloser ein, auch um den weißen, Jazz als Unterhaltung goutierenden Hörern die Ursprünge dieser Musik unmissverständlich klar zu machen. Ihr Auftreten war ein heilsamer Schock. Und ihre Musik war es nicht minder. Auch im Jahr 2017, welches das Jahrhundert des Jazz markiert, gilt nach wie vor: Der Jazz bezieht seine Glaubwürdigkeit aus dem Leben selbst. In diesem Sinn hat sich Enjoy Jazz, das internationale Festival für Jazz und Anderes, immer auch als eine Bühne verstanden, die nicht nur musikalische Könner und Strömungen und Genres präsentiert, sondern auch nach der gesellschaftlichen Verankerung der Musik fragt. 

Herausragendes Beispiel hierfür ist das Eröffnungskonzert der 19. Festivalausgabe (Mo, 02.10., Stadthalle, Heidelberg) mit Somi. Sie spielte zuletzt beim Montreux Jazz Festival und in der Elbphilharmonie in Hamburg. Die 1979 in Illinois geborene Jazzsängerin, deren Eltern aus Ruanda und Uganda stammen, hat einen Teil ihrer Kindheit in Sambia verbracht. Keine Frage, dass afrikanische Musiktraditionen für die Sängerin immer ebenso bedeutsam waren wie amerikanischer Jazz. „Petite Afrique“, Somis jüngstes Album, folgt diesen Spuren – und bewahrt sie zugleich. Seit ihrer ersten Platte aus dem Jahr 2003 wird sie wahlweise als neue Nina Simone, Miriam Makeba oder Dianne Reeves gefeiert, und auch wenn diese Vergleiche nicht hinken, so greifen sie doch zu kurz. Somi hat eine eigene Stimme, eine eigene Sprache entwickelt – in ihren Kompositionen und in der Zusammenarbeit mit Musikern wie Mos Def, Paul Simon, Danilo Perez oder dem legendären Hugh Masekela, der ihr Talent früh erkannt und gefördert hat. 

Auch das Abschlusskonzert am Sa, 11.11. in der Mannheimer Christuskirche spricht für eben jene Verankerung der Musik in der Gesellschaft, denn am Ende lassen sich eben nur eine Handvoll Musiker als wahre Innovatoren des Jazz begreifen. Louis Armstrong gehört dazu, Charlie Parker, Miles Davis, John Coltrane, Ornette Coleman. Und Django Reinhardt, der den Sinti-Jazz im Alleingang erfand, Vorreiter des ersten in Europa entstandenen Jazzstils war und schlicht ein geniales Improvisationstalent besaß, sich nicht im Geringsten um definierte Musikgattungen scherte und stattdessen Jazz, traditionelle Roma-Musik und französische Folklore zu etwas einzigartig Neuem verband. Wenn man in diesem Jahr also auf die Anfänge des Jazz zurückblickt, sollte man den 1910 geborenen Sinto Django Reinhardt nicht übersehen. Bereits im Februar wurde die Berlinale mit einem Bio-Pic über den stilprägenden Gitarristen eröffnet; die Musik des Films stammte vom Rosenberg Trio, das seit vielen Jahren die Kompositionen und Ideen des Meisters weiterträgt. Der Gitarrist Stochelo Rosenberg kommt nun zum Abschluss des Festivals zusammen mit einem Who-is-Who der Swing-Manouche-Szene, um dem verehrten Vorbild die Ehre zu erweisen. Die Besetzung entspricht genau dem klassischen Quintette du Hot Club de France: drei Gitarristen, Kontrabass und Violine. Freuen darf man sich besonders auf Biréli Lagrène, der aus der Reinhardt-Schule stammt und einer der vielseitigsten, kreativsten Gitarristen unserer Zeit ist. 

Wer Archie Shepp in den letzten Jahren bei seinen Enjoy-Jazz-Auftritten erlebt hat, konnte jedes Mal eine andere Facette des Musikers kennenlernen: Mit einer Bigband und dem Rapper Yasiin Bey etwa führte er 2015 seine politischste Platte „Attica Blues“ auf. Letztes Jahr erwies er mit einem fantastischen Quintett John Coltrane seine Reverenz. Die Rückbindung an afroamerikanische Traditionen, die bereits in der wilden Free-Jazz-Phase der 60er spürbar war, bildet eine weitere Konstante. Seit den 70ern hat die Beschäftigung mit Gospel und Blues etwas Programmatisches bekommen, und zum 80. Geburtstag, den Shepp im Mai dieses Jahres feierte, schenkt der dekonstruierende Bewahrer nun sich und uns ein besonderes Konzert, das eine Linie seiner Kunst bis zu den Roots der Kindheit zurückverfolgt: „Art Songs and Spirituals“ heißt der Abend, der dank der BASF-Kultur als Koproduktion des Festivals Jazz à la Villette in der Pariser Philharmonie und Enjoy Jazz im BASF-Feierabendhaus (Sa, 28.10.) zustande kommt. Ebenfalls im BASF-Feierabendhaus darf man sich auf Richard Bona Mandekan Cubano freuen, der afrikanische Einflüsse, Soul, Funk und Jazz leichthändig vermischt. Das Solo-Konzert von Brad Mehldau in der Stadthalle Heidelberg ist ein Muss für alle Jazzfans, und beim Tarkovsky Quartet mit Coutrier, Lechner, Larché & Matinier kommt klassische Musik in der Heiliggeistkirche in Heidelberg mit ins Spiel. Zahllose weitere Highlights warten in über sechs Wochen in verschiedenen Spielstätten in der Metropolregion auf alle Musik-Aficionados und machen dem Namen von Deutschlands größtem Jazzfestival auch 2017 alle Ehre: „Enjoy Jazz!“ lautet die ganz einfach zu erfüllende Devise! Wer gleich zu Beginn des Festivals mal reinhören möchte, kann mit etwas Glück Karten für „Hejira“ am Mi, 04.10. in der Alten Feuerwache gewinnen. Eigentlich tourt die Band mit dem recht eigenwilligen Profil nur selten und tritt hauptsächlich bei den regelmäßigen Londoner Club-Nächten mit Gästen in Aktion, doch für Enjoy Jazz wird eine Ausnahme gemacht: Zu verlosen haben wir 2x2 Tickets für das Konzert am Mi, 04.10. in der Alten Feuerwache Mannheim – einfach bis 30.09.2017 eine E-Mail mit den Kontaktdaten an kollektorat@deltaimquadrat.de schicken!


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